Ausstellung: „aktuelle Positionen GEDOK 23“ · Barmer Kunsthalle · 10.09. – 08.10.2023
Achtzehn aktuelle Positionen
Die Ausstellung „aktuelle Positionen GEDOK 2023“ in der Barmer Kunsthalle, die nach langer Ruhepause für dieses Ereignis wieder ihre Säle öffnete, war das großzügige Geschenk der ehemaligen Vorsitzenden Christa Müller-Schlegel an „ihre“ GEDOK Wuppertal.
Anlässlich ihres 90. Geburtstags ermöglichte die Kunstfreundin und Mäzenin dieses umfangreiche Projekt, an dem sich interdisziplinär arbeitende Bildende Künstlerinnen, Autorinnen und Musikerinnen beteiligten und in mehreren Veranstaltungen zur zentralen Ausstellung ein abwechslungsreiches Begleitprogramm boten.
Fotos der Ausstellung
© Kirsten Radermacher (2023)
Achtzehn Künstlerinnen stellen aus, stellen dar, stellen sich vor, beziehen Stellung zu den Wirklichkeiten unserer Zeit mit ihren inhaltlichen und formalen Positionen. Sie zeigen Collagen, Fotografien, Gemälde, Installationen und Zeichnungen, bieten uns konkret Anschauliches, Auflösungsstadien des Gegenständlichen und abstrakte Felder der Betrachtung. Sie entwerfen frag-würdige Schönheiten und untersuchen mögliche Geborgenheiten, erforschen Räume und Befindlichkeiten und – zeigen Situationen des Vergänglichen, unter anderem im ersten Saal.
Mit ihrer Serie „Totholz“ fokussiert Liane Lonken unsere Aufmerksamkeit auf die Relikte zerstörter Wälder, auf die Bruchstücke borkiger, bemooster Stämme und Äste, auf fahles Laub und dürre Gräser, denen sie mit den vielschichtigen Lasuren der Ölfarben eine greifbare Plastizität verleiht. Die gräulichbräunlich getönte Palette überträgt die Trostlosigkeit, die solchen Sterbeorten innewohnt und uns mahnt, die Welt besser zu verwalten.
Bei ihrer expressiven Gestaltung eines Seevogelkadavers betont Daniela Werth die auseinander gerissenen weißen Federn wie einen Nestrest um das angedeutete Gelege verwesender Organe in der aufgebrochenen Körperhöhle. Mit der Konzentration auf eine dem Zerfall eigentümliche Ästhetik und der Verbindung zwischen Tod und Geburt bietet die Künstlerin uns eine Möglichkeit, unserer Sterblichkeit ins Auge zu sehen.
Fotografische Impressionen verschiedener Epochen verbindet Petra Göbel in der Installation „Utopia“ zum Mosaik einer Sehnsuchtssuche in der Flüchtigkeit des Lebens und der Erinnerung. Die Abzüge historischer Negative reflektieren die Nostalgie alter Idyllen, während die aktuellen Langzeitbelichtungen der Künstlerin mit einer Lochkamera die beunruhigende Leere einer sich in den Raum krümmenden Bühne schaffen, auf der einzelne Gespenster wabern.
Die experimentelle Arbeit Kirsten Radermachers gilt der Einzigartigkeit der Fotografie, die sie unter anderem in der Serie „Giftrot“ verwirklicht, indem sie die Abzüge in weichen Bürstenstrichen mit Sienapigmenten versieht. Durch die düstere Marsfarbe der Motive schafft die Künstlerin eine apokalyptische Atmosphäre und wendet sich damit gegen die Verschmutzung der Welt durch toxische Substanzen.
Auch Maren Hering konfrontiert uns in ihren Installationen mit der Verseuchung des Planeten, insbesondere durch unsere rücksichtslose Verwendung und Verschwendung von nahezu unverottbarem Plastik. Hier wimmelt ein Schwarm lebensbedrohlicher Relikte maritimer Netze und Schnüre, andernorts verbreiten sich überquellende Müllbeutel in den Alltag. Und schließlich hängen wie von Deponien gezogene, kontaminiert wirkenden Acrylat-Pigment-Objekte in kahlen Bäumen.
Die floral anmutenden Arbeiten Dela Veras entstehen im behutsamen Auftrag feiner transparenter Lasuren, deren Farben alten Gobelins entliehen scheinen und das Leinwandgewebe als strukturelle Qualität der Malerei einbeziehen. Die Motive entspannensich auf dunstig-hellen Flächen mit Blättern und Staubstempeln zu zart angedeuteten Blütentagenund ballen sich vor dem Dunkel in üppigen Nachtblumen.
Cornelia Regelsbergers Collagen zeigen „Kinder in Wuppertal“, deren Abbilder ebenso brüchig geworden sind wie die Ideale, die einst in Atelierfotografien propagiert wurdenund deren bürgerliche Konventionen die Künstlerin mit ironischen Anspielungen kommentiert. Ihre Serie „Frauen am Fenster“ verwandelt ein traditionelles Sujet der Malerei in surreal anmutende Szenen, in denen Bildzitaten weiblicher Akte mit Innen- und Außenperspektiven spielen.
Sabine Gille lenkt unsere Blicke auf abgefetzte Plakate, die sie in dem ihr charakteristischen Hyperrealismus zur Geltung bringt: übereinander geleimte farbige Schichten, deren von Nässe aufgequollenen Papiere sich in weich gerissenen Kanten staffeln. Textfragmente zwischen „Willkommen“ und „Stress“ reizen unsere Vorstellungskraft ebenso wie der vieldeutige Titel „Coronaabriss“, der auch auf die einschneidenden Bedingungen der Pandemie verweist.
Für ihr „Memorial Book Projekt“ hat Susanne Müller-Kölmel über ein Jahrzehnt hinweg Augenblicke aus dem Fluss der Zeit gegriffen, täglich in kleinen malerischen Notaten aneinandergereiht und ihrer Flüchtigkeit so eine Weile Dauer verliehen. Die entfalteten Erinnerungsleporellos wecken unsere Schaulust und unsere Phantasie und steigern unsere Wahrnehmung für den Reichtum jedes einzelnen Moments im Lebensgefüge.
Aus eigentlich gleichförmigen, je nach Gebrauch unterschiedlich ausfallenden Kabelbindernhat Eva Witter-Mante ihre mehrgeschossige Konstruktion erbaut, die aus stabilen gebündelten Stützen zunehmend fragiler und querstrebend zugleich komplexer emporwächst und sich zuoberst steildachartig aufstellt. Mit ihrer allseits einsehbaren Architektur bietet uns die Künstlerin interessante Durchblicke in das Wechselspiel von „Chaos“ und „Ordnung“.
Die Gestaltung ihres aus Vieren addierten „Fünfquadrats“ bestimmt Annette Schnitzler mit starken schwarzen Balken, die längs, quer und diagonal gezogen und zum Teil durch schmale Lineaturen miteinander verbunden sind. Im Kontrast zu den klaren konstruktiv und kalligrafisch anmutenden Konturen stehen sich verdichtende und verwirrende Bereiche in denen die Elemente einander überlagern. Akzentuierende Farbrinnsale und -spritzer ergänzen die ausgewogene Komposition.
Rita Viehoff evoziert mit ihrer durchgehenden blaugrünen Gestaltung der Leinwand einen großen Einklang von windbewegtem Himmel, leuchtendem Meer und faszinierenden Felsformationen, die in der bretonischen Landschaft oft mythisch erlebt werden. Mit Hinweisen auf den malerischen Prozess durch auslaufende Farbspuren und den lakonischen Begriff „Küsteninventar“ durchbricht die Künstlerin zugleich das sich bei uns einstellende Harmoniegefühl als Illusion.
In Christine Laprells „Ama“ fällt die reduziert figurative Kontur eines Tieres auf, das an steinzeitliche Höhlenmalereien erinnert. Dazu ordnet die Künstlerin gestische Lineaturen und gestrichene, gezogene und gespritzte Pigmentpartien in wiederkehrenden Farben und Formen sowie eincollagierte Fragmente zu einem locker über den Grund verteilten, doch komplexen Gefüge, das uns wie ein Rebusrätsel viel Freiraum für Assoziationen bietet.
Mit jedem Pinselzug setzt Gaby van Emmerich Farbe an Farbe, deren Dialog sie zur Fortsetzung der Gestaltung anregt. So wächst das Gefüge eines Waldes aus vor allem blauen und violetten Tönen: Horizontale Texturen bilden das Gewebe der Wurzeln und Pilze, über das sich die Stämme erheben, in Äste teilen und das Laubdach tragen. Sonnenflecken schimmern in der kühlwarmen Dämmerung, in der wir das Geheimnis der Bäume erkunden.
Die Kohle ist Marlies Blauth aus ihrer Kindheit vertraut, so dass sich in ihren kleinen Ansichten des „Ruhrgebiets“ Erinnerungen an düstere Silhouetten des Reviers und das Material ihrer Malerei in einem dichten thematisch-medialen Gewebe verbinden. Mit dem schwarzen Staub auf der durchscheinenden Leinwand inszeniert, reihen sich qualmende Industrieanlagen, Hausfassaden, Kirchtürme, auch Landschaftliches zu einer zeitenübergreifenden Kulisse.
In ihrer Graphic Novel „Unterwegs“ verbindet Alexa Reckewitz Eindrücke einer frühmorgendlichgrauen Fahrt mit Zitaten aus Jack Kerouacs Roman „On the road“. Die Zeichnung der Landschaft evoziert die Geschwindigkeit durch die sich verzerrenden und entschwindenden Gegenstände zu einer transitorischen Wahrnehmung der Welt, die die Künstlerin ebenso interessiert wie die letztliche Unhaltbarkeit alles zu Erlebenden, die die Kunst des Buches temporär aufhebt.
In der untitled-Serie unterbricht Heidi Becker den frei fließenden Lauf ihrer Arbeit durch die Überklebung einiger Bereiche mit gerissenen und geschnittenen Tapes, die ein Davor und Darunter der im Malprozess einander überlagernden Ebenen bewahren. Die Aufdeckung dieser Partien lässt überraschende Effekte entstehen, in denen zwei Bilder einander mit kontrastierenden und korrespondierenden Farben und Formen, Flächen und Linien durchdringen.
Sabine Bohn widmet ihre Arbeiten den metamorphen Frauen „Niobe“ und „Arachne“als Sinnbilder des beständigen Wandels des Seins. Auf ihren transparenten, bemalten Folien wuchern organische Gliederungen zwischen Wurzelwerk und Adergeflecht, Muskelfasern und Tentakelarmen. Im Gegensatz dazu steht eine Ordnung, die mit geometrischen Linien und mathematischen Maßen der Schnittmuster wie ein Rüstzeug wirkt, das dem eigentlich strömenden Leben angelegt wird.
© Dr. Jutta Höfel (2023)